Zurück zur GhK-Homepage Universität Gesamthochschule Kassel
Fachbereich Mathematik / Informatik
  Fachbereich      Studiengänge     Eingangsseite von Ralf Schaper   

INFORMATIK - Eine Technikwissenschaft zur Mathematik ?

Arbeitspapier für AG II
Ralf Schaper

Bericht über die AG II
Robert Labus und Ralf Schaper

EIN ANDERER ASPEKT DES VERHÄLTNISSES VON MATHEMATIK UND INFORMATIK
Robert Labus

COMPUTER - ALGEBRA - Die nächste Herausforderung an die Didaktik der Mathematik
Franz Lichtenberger


INFORMATIK - Eine Technikwissenschaft zur Mathematik?
Arbeitspapier für AG II
Ralf Schaper

Informatik (informatique, computer science) ist eine neue Wissenschaft. Sie ist auch eine neuartige Wissenschaft, "in der - in aller Regel durch die Anwendung hervorgerufen - etwas geschaffen wird, Algorithmen gefunden und durch Programme beschrieben werden. Insofern ist sie eine Ingenieurwissenschaft. Ungleich den klassischen Ingenieurwissenschaften ist jedoch das Geschaffene immateriell, nicht an Stoff und Energie gebunden. Insofern ist die Informatik eine Geisteswissenschaft wie auch die Mathematik." [1]

Klassische Maschinen übertragen Kräfte und wandeln Stoffe um; sie ersetzen und verstärken manuelle menschliche Leistungen. Computer wandeln Informationen um; sie ersetzen und verstärken geistige menschliche Leistungen. "Die Technik neuen Stils kann dem Menschen nicht mehr nur seine Operationen, sondern auch seine Kontrolleistungen abnehmen." [7] 

Technikwissenschaften unterscheiden sich von Naturwissenschaften folgendermaßen: "In der Naturwissenschaft werden bestimmte beobachtbare Objekte und Vorgänge untersucht mit dem Ziel, zu allgemeinen Aussagen (Gesetze, Theorien) über die Natur zu gelangen; in der Technik werden Objekte erst entwickelt und geschaffen. Daß ein technisches Gebilde nicht gegen naturwissenschaftliche Erkenntnis entworfen und hergestellt werden kann, ist evident." [6]

Angewandt auf die Informatik bedeutet der letzte Satz: Kein Programm (Produkt, software) kann gegen das System der Maschine (hardware) hergestellt werden. Babbage ist bekanntlich an der nicht weit genug entwickelten Technologie seiner Zeit "gescheitert". 

Die neuartige Stellung der Informatik innerhalb der Wissenschaften äußert sich auch in einem Begriffswirrwarr und einer Begriffsvielfalt.

Peter Wegner [20], [21] spricht von "three computer cultures associated with the study of digital computers, which may be referred to as computer technology, computer mathematics and computer science". Stef W. Postma spricht in anderem Zusammenhang (und anderer Reihenfolge) von "programmars, programmarians and programmticasters" [13].

Neben der allgemeinen Stellung der Informatik ist für uns das spezielle Verhältnis zwischen Informatik und Mathematik entscheidend. [3], [5], [9], [14], [18], [19].

War etwa der Maschinenbau schon immer eine Technikwissenschaft zur Physik (insbesondere der Mechanik), so existiert neuerdings mit der Informatik zum erstenmal in der Geschichte eine Technikwissenschaft zur Mathematik. Aus den hervorgerufenen Wechselwirkungen ergeben sich auch notwendige Einflüsse auf das Studium der Mathematik.
Der Computer wird zum Werkzeug von Mathematikern in zweifacher Hinsicht: 
a) als Lieferant von Beobachtungen: numerischen Rechnungen, grafischen Darstellungen, etc.,
b) als Hilfsmittel beim Beweisen: etwa Beweis des Vierfarbensatzes.
"Mathematik wird wieder "experimentell" (natürlich in einem neuen Sinne). Die Möglichkeit, mit Hilfe "schneller" Computer viele Rechnungen auszuführen, und die Entwicklung der Videotechnik erlauben es, Zahlen nicht nur in Tabellen, wie früher, auszudrücken, sondern grafisch, "in Flächen", dazustellen" [15]. "Computergrafik macht es möglich, zu experimentieren. Mathematische Sachverhalte werden in Bilder und Bewegung übersetzt, ohne daß diese Bilder vorher im Kopf des Mathematikers vorhanden sein müssen. Wie die Arbeiten und Filmbeispiele von Peitgen ... zeigen, sind vielmehr beobachtbare Phänomene in der computergrafischen Darstellung, also die Bilder Auslöser für neue Fragestellungen und Ausgangspunkt neuer Resultate.

Diese Form von experimenteller Mathematik - Interaktion von Computergrafik und Theoriebildung - wird meines Erachtens in der Zukunft auch Bestandteil der Ausbildung von Mathematikstudenten werden." [12]

(Kleine Randbemerkung: Die Mathematikstudenten, die in der Interdisziplinären Arbeitsgruppe Mathematisierung Kassel an dem dort vorhandenen Bildverarbeitungscomputer intensiv gearbeitet haben, bekommen z.Z. leicht (zum Teil schon vor abgelegtem Examen) Stellen in der Industrie.)

"Die "Computerbeweise" des Vierfarbensatzes von Haken, Appel und Koch bzw. Allaire (siehe [16] ) werden von vielen Mathematikern als äußerst suspekt beargwöhnt. Die Frage, ob es akzeptable Beweise sind, haben zum Beginn einer neuen Diskussion über die Grundlagen der Mathematik geführt. Man siehe dazu den Artikel von E.R. Swart: The philosophical implications of the four-color Problem [16]", [15].

Im Unterricht zur Mathematik, die man als Theorem- bzw. Theorie-orientiert bezeichnen könnte, ist Informatik wesentlich Waren-orientiert.
1) Gesucht sind also nicht "nur" reine Problemlösungen; sondern die Beziehungen zwischen Produkt, Ware, Verkauf, Zeit, Preis, Lohn spielen neben den allgemeinen sozialen Auswirkungen eine entscheidende Rolle. Mit dem Produkt verbunden ist die Verantwortung für das Produkt bzw. seine Auswirkungen bei der Anwendung bzw. auf die Gesellschaft.
2) Gibt es bei herkömmlichen Maschinen eine gesellschaftliche Kontrolle etwa durch den TÜV, so fehlt Entsprechendes bei soft- und hardware. Analoges gilt für Garantieerklärungen bzw. Urheber- und Patentrecht.
Vom Mathematiker wird i.a. logisches und systematisches Denken erwartet. Primäres Ziel eines Nebenfachs Informatik für Mathematikstudenten darf und kann also nicht eine Verstärkung dieser Fähigkeiten sein. Gefordert werden müssen Zusatzqualifikationen über Arbeitstechniken.
3) Während diese Forderung in der Ingenieurausbildung mittlerweile akzeptiert ist [8], bedarf sie im Informatik- und Mathematikstudium immer noch ihrer Verwirklichung. Ausführung siehe hierzu [2], [4], [11].

Zum Schluß noch eine kurze Bemerkung: Es wäre ein großer Fehler zu glauben, das Verhältnis Informatik - Mathematik brauchte keine Auswirkungen auf die Lehrerausbildung und die Schule zu haben. Mathematiklehrer haben z.Z. (noch) die Aufgabe, die wachsende Bedeutung der Informatik in der Gesellschaft zu vermitteln, [17], [23].

Literatur
(auch einige nicht explizit benutzte)

[1] Bauer, Friedrich L.
Was heißt und ist Informatik?
In [23], S. 7-19
Frühere Fassungen in: Otte, M. (Hrsg.) Mathematiker über Mathematik. 
Berlin: Springer, 1974, S. 349-368. IBM Nachrichten, 24, Heft 223, 333-347, 1974

[2] Bauer, Friedrich L.
Software und Software Engineering.
In [23], S. 178-190

[3] Birkhoff, Garrett
The impact of computers on undergraduate mathematical education in 1984.
American Mathematical Monthly, 79, 648-657, 1972

[4] Buerkler, Hanspeter; Carl August Zehnder
The training of university students in computer project management.
In: [10], S. 731-737

[5] Dörfler, Willibald; Helmut Schauer (Hrsg.)
Wechselwirkungen zwischen Informatik und Mathematik.
Wien, München: Oldenbourg, 1980

[6] Füssel, Martin
Die Begriffe Technik, Technologie, Technische Wissenschaften und Polytechnik.
Bad Salzdetfurth: Didaktischer Dienst Franzbecker, 1978

[7] Habermas, Jürgen
Praktische Folgen des wissenschaftlichen Fortschritts.
In: Theorie und Praxis.
Frankfurt: Surkamp, 1971, S. 336-358

[8] Hilmer, Holger; u.a. (Hrsg.)
Studium, Beruf und Qualifikation der Ingenieure.
Düsseldorf: VDI-Verlag, 1979

[9] Knuth, Donald E.
Computer science and ist relation to mathematics.
Amercan Mathematical Monthly, 81, 323-343, 1974

[10] Lewis, Bob; Donavan Tagg (eds.)
Computers in education.
Amsterdam: Nord-Holland, 1981

[11] McGettrick, Andrew D.
Objectives in computer science education and the role of mathematics.
In: [10], S. 761-766

[12] Metzler, Wolfgang
Was leisten mathematische Filme?
In: Visualisierung in der Mathematik.
H. Kautschitsch, W. Metzler (Hrsg.)
Stuttgart: Teubner, 1982, S. 79-94.
Oder in: Berichte der Arbeitsgruppe Mathematisierung Kassel, 1, V30-V45, 1981

[13] Postma, Stef W.; Douglas Laing
Programmars, programmarians and programmaticasters: on the training of -
In [10], S. 719-723

[14] Rice, John R.
Software for numerical computation.
In [22], S. 688-708

[15] Schaper, Ralf
Zu den gegenwärtigen Aufgaben der Hochschuldidaktik der Mathematik.
In: Hochschuldidaktik der Mathematik.
R. Schaper (Hrsg.)
Hamburg: AHD, 1982, S. 9-21

[16] Swart, E. R.
The philosophical implications of the four-color problem.
American Mathematical Monthly, 87, 697-707, 1980

[17] Tauber, Michael; Helmut Schauer (Hrsg.)
Informatik in der Schule.
Wien, München: Oldenbourg, 1980

[18] Tauber, Michael; Helmut Schauer (Hrsg.)
Informatik und Philosophie.
Wien, München: Oldenbourg, 1981

[19] Thwaites, Brain
Mathematics in 1984 - The impact of computers.
Advances in Computers, 10, 179-108, 1970

[20] Wegner, Peter
Three computer cultures: computer technology, computer mathematics, and computer science.
Advances in Computers, 10, 7-18, 1970

[21] Wegner, Peter
A view of computer science education.
American Mathematical Monthly, 79, 168-179, 1972

[22] Wegner, Peter (ed.)
Research directions in software technology.
Cambridge: The MIT Press, 1979

[23] Weinhart, Karl (Hrsg.)
Informatik im Unterricht.
München, Wien: Oldenbourg, 1979

 

EIN ANDERER ASPEKT DES VERHÄLTNISSES VON MATHEMATIK UND INFORMATIK
Robert Labus

"Das trostlose Symbol einer institutionalisierten Unverantwortlichkeit, der Ersatz von Menschen durch Maschinen, ist ein Menetekel gegen das es anzudenken, anzukämpfen gilt." W. Dosch [4]

"Naturwissenschaftliche Erkenntnis beinhaltet die Ausbeutung der Natur. Es kommt darauf an, die Natur soweit berechenbar zu machen, wie sie berechenbar gemacht werden kann und darauf technologische Nutzungsmöglichkeiten aufzubauen. Dieses Grundmuster wissenschaftlicher Erkenntnis bedingt die Ambivalenz des wissenschaftlichen Erkenntnisfortschrittes bis hin zu den Möglichkeiten, die in der atomaren Waffentechnik liegen. So dringend es heute ist, umfassend nach den Technologieerfolgen zu fragen, so unverzichtbar ist es die methodischen Voraussetzungen wissenschaftlicher Erkenntnis als generelle Ermöglichung technologischer Perversionen im Bewußtsein zu halten." G. Altner [2]

Informatik ist eine Wissenschaft, deren Ergebnisse und Anwendungen unser alltägliches Leben in vielfältiger (und zum Teil beängstigender) Weise beeinflussen und verändern. Hierzu seien zunächst ein paar Beispiele genannt:
1. Der Ersatz menschlicher Arbeit durch computergesteuerte Maschinen und die damit verbundenen sozialen Probleme.
2. Die für dieses Jahr vorgesehene (wenn auch nicht durchgeführte) Volkszählung, deren Auswertung und die darauf gestützten Planungen zu einem wesentlichen Teil von Informationen ausgeführt worden wären. Hier sei daran erinnert, daß der Beginn des Einsatzes von Computern in der kommerziellen Datenverarbeitung durch die Verwendung von UNIVAC I für eine amerikanische Volkszählung (1951) markiert wird (s. Weizenbaum [9], S. 56).
3. Die beabsichtigte Numerierung der Bundesbürger verbunden mit der Einführung eines maschinenlesbaren Personalausweises, die bisher ungeahnte Möglichkeiten zur Sammlung und Verarbeitung von Informationen über jeden einzelnen Bürger eröffnet. In diesem Zusammenhang sei auch an die Diskussionen über bereits bestehenden und zum Teil gekoppelten Informationssysteme der Kriminal- und Verfassungsschutzämter des Bundes und der Länder erinnert.
4. Die Bedeutung der Informatik für die militärische Technologien, insbesondere im Zusammenhang mit der atomaren Waffentechnik. "Der dritte Weltkrieg wäre ein Krieg der Elektronik, der Computerwissenschaften und der Mathematik." (Rilling [7] ). Nach J. Feinstein (Direktor für Elektronik und Physikalische Wissenschaften im US-Verteidigungsministerium) umfaßt das Forschungs- und Entwicklungsprogramm für die Waffensysteme, die bis zum Jahr 2000 zum Einsatz kommen sollen, zwei grundlegende Technologien: Elektronengeräte und Informationsverarbeitung (zitiert nach [1] ). Erwähnenswert ist hier auch die Entwicklung von vollautomatischen Frühwarn- und Entscheidungssystemen, die angesichts der extremen kurzen Flugzeiten der Raketen "benötigt" werden. Dies sind Systeme, die in wenigen Minuten bzw. Sekunden Reaktionen auf fliegende bzw. vermeintlich fliegende gegnerische Raketen herbeiführen sollen, d.h. über Krieg oder Nicht-Krieg wird möglicherweise ausschließlich von Computern entschieden.

Der amerikanische Mathematiker Stephen Smale (Fields-Medaille 1966) schrieb kürzlich unter der Überschrift "Ich habe meinen Beruf verraten": "Die amerikanischen Wissenschaftler von heute verdanken den Militärs viel. Das System der Bundeszuschüsse für die Wissenschaft stammt aus dem Zweiten Weltkrieg. Darüber hinaus haben die Militärs entscheidend die Computerentwicklung unterstützt. Die Computer wiederum haben die gegenwärtige Wissenschaft in hohem Maße beeinflußt. Aber die Militärs stehen noch tiefer in der Schuld der Wissenschaft, wie schon ein flüchtiger Blick auf die modernen Waffensysteme zeigt. Die jetzige Situation, in der diese Waffen das Überleben der menschlichen Zivilisation bedrohen, verlangt zusätzlich zu der Verantwortlichkeit des Wissenschaftler, so wie sie sich in der Geschichte herausgebildet hat, eine moralische Verantwortlichkeit, der wir uns nicht entziehen können, wenn wir die angesprochenen Probleme lösen wollen." [8]. Hier und in dem als Motto vorangestellten Zitat von G. Altner scheint mir ein wesentlicher Aspekt auch des Verhältnisses von Mathematik und Informatik angesprochen zu sein.

Durch die Informatik werden Anwendungen der Mathematik in einem noch nie dagewesenen Ausmaß möglich, die in neuer und schärfender Weise nach der Verantwortlichkeit, der moralischen und gesellschaftlichen Verantwortlichkeit des Mathematikers verlangen. Die Rolle der Mathematik könnte sonst eine verhängnisvolle werden. Hier soll nun nicht einem Pessimismus das Wort geredet werden, aber es ist gerade deswegen nötig die Gefahren der gegenwärtigen Entwicklung zu diskutieren und Instrumente zu entwickeln, um ihnen entgegen wirken zu können.

Die Entwicklung der Wissenschaft ist keine Sache von Prozessen oder von Gesetzmäßigkeiten allein. Wissenschaft muß als ein Element der sozialen und politischen Ordnung begriffen werden. Dies beinhaltet eine Verpflichtung der Wissenschaftler und verlangt ein Besonders hohes Berufsethos, ein auf das feinste ausgeprägtes Verantwortungsbewußtsein gegenüber den Folgen der Forschung für die Menschheit, wie E. Kamke es einmal formuliert hat (s.u.). Die heutige Situation stellt sich aber anders dar: "Universitäten und Hochschulen sind weitgehend zur Werkstatt der Gesellschaft abgeglitten, anstatt deren Vorreiter zu sein. Im gleichem Zug sind akademische Zeugnisse zu begehrten Eintrittskarten in eine wachstumsorientierte Wohlstandsgesellschaft und junge Akademiker zu gut einsetzbaren Universalwerkzeugen geworden. Erforscht wird, was honoriert wird. Und honoriert wird in erstaunlich vielfältiger Weise." (Franke [6] )

Um auf das Verhältnis von Mathematik und Informatik zurückzukommen, sei der auch in dem Arbeitspapier angesprochene Bereich der künstlichen Intelligenz, wie Mustererkennung, Bildverarbeitung und Spracheingabe, genannt.
Die Möglichkeiten zum Einsatz solcher künstlicher Intelligenz sind fast unbegrenzt, und entsprechend groß ist auch das Interesse an diesem Bereich der Computerwissenschaften, aber nicht weniger groß sind die Probleme, die sich damit ergeben. Letztere werden in dem Buch "Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft" von J. Weizenbaum ausführlich diskutiert: Es hat viele Diskussionen über 'Computer und menschliches Denken' gegeben. Der Schluß, der sich mir aufdrängt, ist hier, daß die relevanten Probleme weder technischer noch mathematischer, sondern ethischer Natur sind."

Sein Hauptargument ist schließlich, "daß es bestimmte Aufgaben gibt, zu deren Lösung keine Computer eingesetzt werden 'sollten', ungeachtet der Frage, ob sie zu deren Lösung eingesetzt werden können." (Weizenbaum [9], S. 10 und S. 300). Weizenbaum reklamiert hier mit aller Deutlichkeit die Verantwortung der Informatik und Mathematik für die Folgen ihrer Forschung. Und man kann hinzufügen, daß dieser Aspekt heute dringender denn je auch Eingang in die Ausbildung von Mathematik- und Informatikstudenten finden muß. Wie dies geschehen kann, bedarf eingehender Diskussionen. An dieser Stelle sei auf den Artikel von Booß und Hoyrup [3] verwiesen, in dem die Autoren u.a. dieser Frage nachgehen, als auch auf den Kongress "Verantwortung für den Frieden - Naturwissenschaftler warnen vor neuer Atomrüstung" [5], der im Juli '83 in Mainz stattfand, und an dem sich über 3000 Personen beteiligten. Inzwischen ist auch eine große Gruppe von Mathematikern mit einem Aufruf zum Stop der Atomrüstung an die Öffentlichkeit getreten (Die Zeit, 23.12.83). Zum Schluß noch ein Zitat aus einer Ansprache von E. Kamke anläßlich der ersten wissenschaftlichen Tagung in Deutschland nach Ende des zweiten Weltkrieges (1946): "Wie zum Arzt neben der medizinisch-technischen Ausbildung auch eine charakterliche Erziehung gehört, die ihn selbst die gefährlichsten Hilfsmittel - Messer, Narkotika, Gifte - nur zum Wohle des Kranken verwenden läßt, so ist es unerlässlich, dafür zu sorgen, daß auch die Wissenschaftler ihre ungeheure Macht, die sie zum Herrn über Leben und Tod ganzer Völker, ja der ganzen Menschheit machen kann, nur zu deren Wohle verwenden. Während früher die Eignung für die eigentliche wissenschaftliche Forschung das hervorstechendste Merkmal des Forschers bildete, wird in Zukunft noch etwas anderes hinzukommen müssen: ein besonders hohes Berufsethos, ein auf das feinste ausgeprägtes Verantwortungsbewußtsein gegenüber den Folgen der Forschung für die Menschheit. Es wird zu erwägen sein, ob zu diesen auf moralischem Gebiet liegenden Ansprüchen an die Forscherpersönlichkeiten noch organisatorische Maßnahmen hinzukommen müssen, etwa als mildeste Maßnahme die Einrichtung eines internationalen Informationsbüros, bei dem ohne Beschränkung der Freiheit des Forschers, alle Forschungen bestimmter Wissenschaftsgebiete anzumelden sind.

Diese Probleme sind von solcher Bedeutung, daß sie überall, wo Wissenschaftler zusammentreffen, diskutiert werden sollten. Wir alle müssen uns mit aller unserer Kraft, mit unserer ganzen Person dafür einsetzen, daß die Wissenschaft niemals mehr einem Werk der Zerstörung, sondern nur dem Wohle der Menschheit dient." (Zitiert aus [3].)

Literatur

[1] Altmann, J; J. Scheffen
Ist militärische Überlegenheit erreichbar?
In: [5]

[2] Altner, G.
Ein langer und schwieriger Weg. Sechs Thesen zur politischen Pflicht der Naturwissenschaftler.
In: [5]

[3] Booß, B.; J. Hoyrup
Von Mathematik und Krieg. Über die Bedeutung von Rüstung und militärischen Anforderungen für die Entwicklung der Mathematik in Geschichte und Gegenwart.
Marburg: Bund demokratischer Wissenschaftler, 1984.

[4] Dosch, W.
Selbstzerstörung ist widernatürlich. Aufforderung zu neuem Denken.
In: [5]

[5] Dürr, H.P.; u.a. (Hrsg.)
Verantwortung für den Frieden - Naturwissenschaftler gegen Atomrüstung.
Reinbek: Rowohlt, 1983.

[6] Franke, H.G.
Der Krieg ist wahrscheinlicher geworden. Naturwissenschaft als gesellschaftliches Phänomen.

[7] Rilling, P.
Aufrüstung der Gehirne. Die Rüstungsforschung im Wissenschaftssystem.
In: [5]

[8] Smale, S.
Ich habe meinen Beruf verraten.
In: [5] 

[9] Weizenbaum, J.
Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft.
Frankfurt: Suhrkamp, 1982.

 

INFORMATIK - Eine Technikwissenschaft zur Mathematik?
Bericht über die AG

Robert Labus und Ralf Schaper

Eine Vorbemerkung: Das Arbeitspapier für diese AG ist (auch) von einzelnen (die nicht an der Tagung teilgenommen haben) so gelesen und kritisiert worden, als wolle es die vielfältigen wissenschaftstheoretischen Aspekte der Informatik unterordnen unter das Verhältnis der Informatik zur Mathematik. Diese Kritik war vor der Tagung z.B. von Robert Labus in seinen Anmerkungen zum Arbeitspapier deutlich formuliert worden (s. S. 146). Das Arbeitsgruppenpapier entstand jedoch unter anderen Intentionen und Fragestellungen. Intention war, durch thesenartige Formulierungen Diskussion anzureizen. Das ist in der AG gelungen. Nicht ganz deutlich geworden waren dagegen die eigentlichen Fragestellungen: Wie sollte das "Nebenfach" Informatik in einem Diplomstudiengang Mathematik gestaltet sein? Welche wissenschaftstheoretischen Aussagen über die Informatik bedingen andere als (bisher) im Mathematikstudium übliche Lehr- und Lernformen? Welchen Einfluß hat der "Fortschritt" der Informatik auf das Wissenschafts- und Selbstverständnis der Mathematiker? Kurz gesagt: Was folgt aus der Existenz von Informatik für die Mathematik und das Mathematikstudium?

Es war Absicht, die Diskussion in der AG auf diesen Fragenkomplex zu beschränken; im Sinne von Selbstbeschränkung und (hoffentlich) nicht von Borniertheit. Andere Aspekte von Informatik, die im Oktober öffentlich diskutiert wurden, nämlich: Computer bei der Volkszählung und Fehlalarme in den Computersystemen der US-Air-Force, sollten auch gerade Mathematiker auffordern und anreizen, über die gesellschaftliche Rolle von Mathematik und Informatik nachzudenken und daraus Konsequenzen für das Studium zu ziehen (s. dazu Seite 146.).

Ralf Schaper hatte als Demonstration der Entwicklung der Rechenwerkzeuge einen Abakus, einen alten Rechenschieber, eine mechanische Handrechenmaschine (ca. 1900) und einen "elektronischen" Taschenrechner mitgebracht. Das freigelegte Rechenwerk der mechanischen Rechenmaschine übte in der Anfangszeit der Diskussion eine große Faszination aus und lenkte mehrfach von der Diskussion ab.

Im Rahmen der Vorstellungsrunde erstellten wir eine Wandzeitung. Die endgültige Position von Stichworten hatte Ähnlichkeit mit einer Ellipse: In den beiden Brennpunkten die Begriffe "Computerstudent" und "Computerbeweis", im Schnittpunkt der Achsen: "Computer als Werkzeug".
Um das Stichwort "Computerbeweis" herum notieren wir:
Beweis des Vierfarbensatzes,
"experimentelle" Mathematik,
Verhältnis von Mathematik zur Informatik,
"Mißbrauch" von Mathematik durch EDV Anwendungen,
Bedrohung der Mathematik durch Verstärkung der EDV.
In der Nähe von "Computer als Werkzeug" fanden sich dann noch:
Stellenwert von theoretischer und praktischer Informatik,
Vielfalt der Programmiersprachen,
Formelverarbeitung,
Computeralgebra,
Roboter,
Verhältnis Mensch-Maschine.
Das Stichwort "Computerstudent" stand stellvertretend für die Ausbildungsaspekte:
Auswirkungen von "Computermathematik" im Studium,
Informatik als Unterrichtsfach in der Schule,
neue Lehr- und Lernformen,
Gesellschaft und Computer.

Angeregt durch das Arbeitspapier kam es zu einer kurzen wissenschaftstheoretischen Diskussion über die Einordnung der Informatik im System der Wissenschaften. Hervorgegangen u.a. aus alten Problemen der Mathematik, verknüpft mit den Möglichkeiten der Elektrotechnik, hat sich die Informatik zu einer neuen Wissenschaft entwickelt. Sie stellt mit Computern der Mathematik Werkzeuge zur Verfügung und kann deshalb im Verhältnis zur Mathematik als eine Technikwissenschaft zur Mathematik bezeichnet werden. Die Formen, in der Informatik insbesondere an den Hochschulen betrieben wird, tendieren jedoch in beachtlichem Maße zu einer neuen Theoriedominanz und Praxisferne, die durchaus mit der reinen Mathematik zu vergleichen sind. Hierzu tauchten in der Diskussion einige Fragen auf: Sind nicht ein mathematischer Satz und ein Programm im Prinzip das gleiche? Kann man mathematische Sätze verkaufen wie Programmpakete? Wie unterscheidet sich also das von Mathematik und Informatik produzierte Verfügungswissen?

In der Diskussion über die Lehr- und Lernformen und der Ausgestaltung eines "Nebenfaches" Informatik in einem Mathematikstudiengang bestand Einigkeit darüber, daß der Werkzeugcharakter des Computers zu betonen sei. Nicht geklärt werden konnte, wie hoch die Kenntnisse der Studenten bezüglich der hardware-Entwicklung sein sollten. Franz Lichtenberger berichtete über den Studienschwerpunkt CAMP, d.h. Computer-Aided Mathematical Problem Solving in Linz (s. S. 156). Er berichtete weiterhin über auf uns zukommende Probleme durch die Entwicklung von Formelverarbeitung auf Rechnern (s. S. 154).

Teilnehmer der AG:

Wolfgang Beau, Kassel
Christian Grillenberger, Kassel
Robert Labus, Kassel
Franz Lichtenberger, Linz
Ralf Schaper, Kassel
Anton Überla, Kassel

 

COMPUTER - ALGEBRA - Die nächste Herausforderung an die Didaktik der Mathematik
Franz Lichtenberger

Die Computer-Algebra (CA) beschäftigt sich vor allem mit dem symbolischen Rechnen, landläufig auch als "Buchstabenrechnen" bezeichnet, durch den Computer. Das Ergebnis einer Berechnung der Art 5*A+2*A ist auf einem herkömmlichen (numerischen) Rechensystem ein Zahlenwert, der vom Wert der Variablen A abhängt. Ein CA-System liefert als Ergebnis 7*A. Ebenso kann man z.B. durch einen Befehl der Form INT(SIN(3*X);X) berechnen lassen und erhält den symbolischen Ausdruck -(1/3)*COS(3*X).

Man sollte sich durch die Einfachheit dieser Beispiele nicht täuschen lassen, sie sollten nur das Prinzip zeigen. Es gibt heute schon sehr leistungsfähige Systeme, die bei einem Großteil des symbolischen Rechnens dem Menschen bereits weit überlegen sind. Ich bin der festen Überzeugung, daß solche Systeme (ebenso wie andere verwandte Ansätze, die der "Artificial Intelligence" zugeordnet werden, wie z.B. Automatisches Beweisen, Expertensysteme, etc.) einen großen Einfluß auf die Berufswelt jedes unserer heutigen Studenten haben werden, sei es, daß er nun Lehrer, Techniker oder auch Mathematiker wird.

Derzeit sind CA-Systeme vor allem auf Großrechnern installiert, nur ein System, nämlich muMATH, läuft auch auf Kleinrechnern mit CP/M-Betriebssystem. Nach den derzeitige Trends der Mikroelektronik ist allerdings anzunehmen, daß solche Systeme in wenigen Jahren auch auf Rechnern im Taschenformat zur Verfügung stehen werden. Die Verwendung solcher Systeme, die sicher die gesamte bis zum Abitur erforderliche symbolische Mathematik beherrschen werden, wird für den Mathematikunterricht vermutlich weit größere Auswirkungen haben als es die Einführung der elektronischen Taschenrechner gehabt hat. Haben letztere Logarithmenbücher und Rechenschieber unnötig gemacht, so werden die CA-Rechner die Schüler von einem Großteil des Drills im symbolischen Rechnen befreien, denn der Schüler verbraucht die meiste Zeit seiner Mathematikarbeit mit dem "Buchstabenrechnen".

Vielleicht werden sich einige Lehrer darüber freuen, die durch den Wegfall "mechanischer" Arbeiten freiwerdende Zeit für die kreativen Teile des Mathematikunterrichts nutzen zu können. Ich vermute allerdings, daß bei einem guten Teil der Lehrer diese Situation eher Ratlosigkeit hervorrufen wird. Wir haben allerdings keine Wahl. Ein Verhindernwollen des Eindringens von CA-Rechnern in die Schule wäre nämlich genauso chancenlos und unsinnig wie es die Bestrebungen waren, die Taschenrechner zu verbieten. Bei der derzeitigen Altersstruktur der Mathematiklehrer sehe ich hier auch ein gewaltiges Weiterbildungsproblem entstehen, da diese Systeme natürlich auch bequem programmierbar sind und die Schüler solche Dinge sehr schnell lernen. Eine einigermaßen fundierte Informatikausbildung wird für den Mathematiklehrer dann unerläßlich.

Doch auch der Techniker und Naturwissenschaftler kann ein (etwas größeres) CA-System bestens für seine Arbeit gebrauchen. Es kann Differentialgleichungen analytisch lösen, Reihenentwicklungen durchführen, schwierige Integrale berechnen, etc., etc. Vor allem sind oft symbolische Formelmanipulationen als Vorbereitung für die Erstellung von numerischen Programmen durchzuführen. Ein CA-System wie z.B. REDUCE (das übrigens gar nicht teuer ist) sollte heute an keinem Universitätsrechenzentrum für die Ausbildung von Technikstudenten fehlen. Das derzeit weltbeste System für solche Zwecke, das am M.I.T. entwickelte MACSYMA, ist noch recht teuer, da es mit einem speziellen Rechner, einer LISP-Maschine, angeschafft werden muß. Doch auch hier ist für die nächsten Jahre ein Preisverfall vorausgesagt.
Viele Mathematiker wird auch das System SAC-2 ansprechen. Insbesondere Leute, die viel mit Polynomen, rationalen und algebraischen Funktionen arbeiten, finden hier eine große Auswahl an schwierigen Algorithmen, die nach dem neuesten Stand der Forschung erstellt sind. So ist z.B. das Faktorisieren von Polynomen höheren Grades in mehreren Variablen und mit beliebig großen ganzen Zahlen als Koeffizienten händisch kaum durchführbar. Das CA-System kann das, auch wenn hier schon die dem Problem innewohnende Komplexität auch auf einer schnellen Maschine die praktische Durchführbarkeit behindern kann.

Ich hoffe, mit dieser kurzen Darstellung gezeigt zu haben, daß die Mathematikdidaktik nicht darum herumkommen wird, sich mit den Möglichkeiten und Gefahren der Automatisierung des Symbolischen Rechnens zu befassen.

Für nähere Informationen über die genannten Computer-Algebra-Systeme stehe ich gerne zur Verfügung.