Verlag Oldenbourg

Dieter Schmersau / Wolfram Koepf
Die reellen Zahlen als Fundament und Baustein der Analysis
2000. V, 190 Seiten
Broschur, DM 45, ISBN 3-486-24455-8.
Electronisch erhältlich bei amazon.de , bol.de , buecher.de oder buch.de.

Vielen Studienanfängern der Mathematik erscheint der axiomatische Aufbau der reellen Zahlen unverständlich und schwer - das muß nicht sein! Dieses Buch führt in leicht nachvollziehbaren Schritten in das Thema ein und ist daher eine ideale Ergänzung zur Analysisvorlesung und bestens geeignet für ein Proseminar über reelle Zahlen.

Zunächst wird eine axiomatische Charakterisierung erstellt. Mit drei verschiedenen Konstruktionen wird dann das facettenreiche Bild der reellen Zahlen entwickelt. Am Beispiel der metrischen Räume wird die Möglichkeit der Verallgemeinerung bewährter Konvergenzkonzepte aufgezeigt, wobei die Cantorkonstruktion eine wichtige Rolle spielt. Mit der ebenso vertrauten wie praktisch nützlichen Dezimaldarstellung der reellen Zahlen schließt das Buch.

Inhaltsangabe
Einleitung
Kapitel 1: Charakterisierung der reellen Zahlen

Kapitel 2: Konstruktion der reellen Zahlen Kapitel 3: Einbettung in vollständige metrische Räume Kapitel 4: Dezimaldarstellung reeller Zahlen Literatur
Symbolverzeichnis
Index

Einleitung
Ob in der Schule oder im Studium, wer sich mit Mathematik beschäftigt, kommt um die reellen Zahlen nicht herum. Während man in der Schulmathematik reelle Zahlen als Dezimalzahlen einführt, mit diesen aber eher intuitiv umgeht - es ist beispielsweise alles andere als einfach, die Rechengesetze der reellen Zahlen aus dem Additions- und Multiplikationsalgorithmus für Dezimalzahlen herzuleiten -, erfordert die deduktive Vorgehensweise im Mathematikstudium einen anderen Begriff der reellen Zahl.

Daher werden in den Anfängervorlesungen meist Kenntnisse über die reellen Zahlen vorausgesetzt und ihre Eigenschaften axiomatisch festgelegt. Insbesondere wird auf die ein oder andere Weise die Vollständigkeit der reellen Zahlen eingeführt. Geschieht dies beispielsweise mit Hilfe von Intervallschachtelungen, so wird zusätzlich noch die archimedische Eigenschaft vorausgesetzt; geschieht dies allerdings mit der Supremumseigenschaft, so wird die archimedische Eigenschaft nicht gefordert. Warum dies im einzelnen so ist, bleibt vielen Studenten unklar. Ebenso im Nebulösen bleibt, was die altvertrauten Dezimalzahlen hiermit zu tun haben. Auf der anderen Seite arbeitet man in der numerischen Mathematik dann doch wieder mit Dezimalzahlen, und auch der Standardbeweis für die Überabzählbarkeit der reellen Zahlen benutzt diese.

Auf die Frage, was reelle Zahlen sind, sind viele verschiedene Antworten möglich. Reelle Zahlen sind Um es etwas salopp zu formulieren: Reelle Zahlen sind diejenigen Zahlen, welche sich durch rationale Zahlen approximieren lassen. Diese Vorstellung von den reellen Zahlen zieht sich wie ein roter Faden durch das gesamte Buch.

Wir betrachten die obigen Modelle der reellen Zahlen und ferner die Darstellung durch welche eine Verallgemeinerung der Dedekindschnitte bilden.

Wir haben uns für das vorliegende Buch die Aufgabe gestellt, uns die verschiedenen Modelle der reellen Zahlen genauer anzusehen und gegenüberzustellen. Diese Modelle werden sorgfältig eingeführt und die Beziehungen zwischen ihnen werden herausgearbeitet. Insbesondere wird gezeigt, daß die Dezimalzahlen wirklich ein Modell für die reellen Zahlen darstellen.

Im ersten Kapitel werden die Grundbegriffe aus der Algebra (Äquivalenzrelation, Gruppe, Ring, Körper, Ordnung) eingeführt. Danach werden angeordnete Körper betrachtet. Es wird gezeigt (Satz 1.23), daß jeder angeordnete Körper ein Modell der rationalen Zahlen enthält. Dann werden Folgen in angeordneten Körpern betrachtet. Unter anderem wird bewiesen (Satz 1.29), daß ein angeordneter Körper genau dann archimedisch ist, wenn die Folge (1/n) n eine Nullfolge ist. Dieser Sachverhalt verdeutlicht unseres Erachtens das Wesen der archimedischen Anordnung am besten. Satz 1.37 bringt die archimedische Anordnung mit der oben bereits angesprochenen rationalen Approximierbarkeit in Verbindung. Schließlich werden die vollständigen Körper behandelt. Sie werden mit Hilfe der Supremumseigenschaft eingeführt, und es wird gezeigt (Satz 1.45), daß vollständige Körper stets archimedisch angeordnet sind. Vollständige Körper haben ferner die Intervallschachtelungseigenschaft (Satz 1.47). Dieses Kapitel schließt mit der Erkenntnis (Satz 1.54), daß es bis auf Isomorphie nur einen vollständigen Körper gibt. Dies ist der Körper der reellen Zahlen.

Im zweiten Kapitel werden drei verschiedene Konstruktionen der reellen Zahlen durchgeführt: die Cantorkonstruktion, die Capellikonstruktion sowie die Konstruktion von P. Bachmann. Während bei der Cantorkonstruktion zur Approximation reeller Zahlen Cauchyfolgen verwendet werden, betrachtet Capelli Mengenpaare, welche eine reelle Zahl von unten und von oben approximieren. Wir nennen diese Mengenpaare Capellipaare. P. Bachmann schließlich approximiert reelle Zahlen mit Hilfe von Intervallschachtelungen. In allen drei Fällen werden zur Darstellung reeller Zahlen Äquivalenzklassen gebildet. Dedekindsche Schnitte sind spezielle Capellipaare, welche die jeweiligen Äquivalenzklassen repräsentieren. Die Cantorkonstruktion, welche besonders ausführlich behandelt wird, gipfelt in einem weiteren Kriterium für Vollständigkeit (Satz 2.15). Den Zusammenhang zur Capellikonstruktion und zur Konstruktion von P. Bachmann liefert eine ordnungstheoretische Charakterisierung von Cauchyfolgen (Satz 2.24). Schließlich werden in diesem Kapitel Verfahren zur numerischen Berechnung von Quadratwurzeln und der Eulerschen Zahl e behandelt.

Das dritte Kapitel verallgemeinert die Cantorkonstruktion und bettet die Konstruktion der reellen Zahlen in den Kontext der metrischen Räume ein. Es wird hier die Vervollständigung eines beliebigen metrischen Raums mit Hilfe von Äquivalenzklassen von Cauchyfolgen durchgeführt. Schließlich wird gezeigt (Satz 3.6), daß diese Konstruktion die minimale Vervollständigung liefert.

Im letzten Kapitel wird schließlich die Dezimaldarstellung behandelt. Diese ist in der rechnerischen Praxis besonders wichtig. Wir nehmen hierbei wieder einen konstruktiven Standpunkt ein. Zum Schluß wird gezeigt, daß die rationalen Zahlen genau den periodischen Dezimaldarstellungen entsprechen.

Das vorliegende Buch kann zum einen parallel zu einem Analysislehrbuch in den Anfängervorlesungen der Mathematik eingesetzt werden. Allen Studentinnen und Studenten, die mehr über die reellen Zahlen wissen wollen, liefert die Lektüre dann die Details. Dies wird in der Regel selektiv geschehen. Beispielsweise kann das Kapitel über metrische Räume zunächst auch ohne weiteres übersprungen werden, genauso wie die Abschnitte über die Capellikonstruktion und die Konstruktion von P. Bachmann. Dabei ist an Eigenlektüre der Studentinnen und Studenten gedacht, aber auch der gezielte Einsatz einzelner Abschnitte durch die Dozentin bzw. den Dozenten ist denkbar.

Eine besonders geeignete Möglichkeit für den Einsatz des Buches besteht darin, ein Proseminar über die reellen Zahlen zu veranstalten, dem dieses Buch zugrundeliegt. Wir sind der Überzeugung, daß genauere Kenntnisse über die reellen Zahlen das Verständnis über mathematische Strukturen schärft und den Studentinnen und Studenten auch in anderen Situationen weiterhilft. Beispielsweise ist für viele Fragestellungen der höheren Analysis die prinzipielle Möglichkeit, einen metrischen Raum zu vervollständigen, unverzichtbares Basiswissen. Für Lehramtsstudenten ist wiederum die Konkretisierung der Dezimaldarstellungen von besonderer Bedeutung. Die Gliederung des Buchs ermöglicht eine problemlose Aufteilung des Materials in Seminarvorträge.

Wir beenden die Einleitung, indem wir uns bei den Herren Dr. E. Panzram und U. Räuchle für Ihre tatkräftige Unterstützung bei der Übersetzung der Arbeit von A. Capelli bedanken. Ferner danken wir Frau Kossick vom Konrad-Zuse-Zentrum für ihre professionelle Hilfe bei der Beschaffung schwer zugänglicher Literatur. Schließlich gilt unser Dank auch dem Oldenbourg-Verlag für seine verständnisvolle Geduld.

Berlin und Leipzig, 27. Juli 1999, Dieter Schmersau und Wolfram Koepf

Wolfram Koepf
Wed Aug 25 12:13:14 MET DST 1999